Hitzewellen: Menschheit nahe ihrer thermischen Grenzen
Es gibt aktuelle Forschungsergebnisse [1] über die Möglichkeit von katastrophalen Wirbelsturm-Hitzewellen-Kombinationen im Süden der Welt. Diese Ergebnisse werden über kurz oder lang auch auf Europa anwendbar sein. Es besteht die Gefahr, dass Schlüsselinformationen über extreme Hitze nicht genügend bekannt werden.
Es ist mittlerweile bekannt, dass heiße Extreme in dem veränderten Klima, in dem wir leben, wahrscheinlicher sind. Dennoch besteht ein scheinbar unstillbarer Durst danach, dass diese Geschichte jedes Mal, wenn Europa schwitzt, nacherzählt wird. Berichte über solche akuten, lokalen Ereignisse lenken von kritischen Botschaften über die globalen Herausforderungen durch extreme Hitze ab.
Maximale Temperaturen von 35°C oder mehr sind nach mitteleuropäischem Standard heiß, aber diese Bedingungen sind für rund 80% der Weltbevölkerung normal. Die Schlagzeilen machenden 45,9°C, die Frankreich (Gallargues-le-Montueux, im süd-östlichen Gard Départment) kürzlich erlebte, sind zwar ungewöhnlich, unterschreiten aber immer noch die 50°C, die Anfang Sommer 2017 in Indien gemessen wurden und 2016 in Kuwait. Menschen in diesen wärmeren Klimazonen können mit hohen Temperaturen besser umgehen, aber solche Hitze tötet auch Menschen.
Tödliche Hitzewellen sind für Europäer natürlich kein Unbekannter. Das berüchtigte Ereignis von 2003 forderte insgesamt ungefähr 70.000 Todesopfer, und 2010 gab es in Westrussland mehr als 50.000 Todesopfer. Glücklicherweise wurden Lehren gezogen und die Behörden sind jetzt besser vorbereitet, wenn Hitzewarnungen heraus gegeben werden.
Aber denken sie an die weniger glücklichen Menschen, die regelmäßig außergewöhnliche Temperaturen erleben. In Ländern Südasiens und am Persischen Golf arbeitet der menschliche Körper trotz aller bemerkenswerten thermischen Effizienz oft nahe an seinen Grenzen. Ja, es gibt eine Grenze.
Wenn die Lufttemperatur 35°C übersteigt, ist der Körper auf die Verdunstung von Wasser angewiesen, hauptsächlich durch Schwitzen, um die Kerntemperatur auf einem sicheren Niveau zu halten. Dieses System funktioniert, bis die "Feuchtkugel"-Temperatur 35°C erreicht [2]. Die Feuchtkugel-Temperatur schließt die Kühlwirkung des vom Thermometer verdampfenden Wassers ein und ist daher normalerweise wesentlich niedriger als die normale Temperatur, die in Wettervorhersagen angegeben wird.
Sobald aber diese Temperaturschwelle überschritten ist, ist die Luft so voll mit Wasserdampf, dass der Schweiß nicht mehr verdunsten kann. Und dann kann der menschlich Körper keine Wärme mehr loswerden. Ohne die Möglichkeit, Wärme abzuleiten, steigt unsere Kerntemperatur, unabhängig davon, wie viel Wasser wir trinken, wie viel Schatten wir suchen oder wie viele Pause wir einlegen. Dann folgt der Tod - früher noch für die ganz jungen und älteren Menschen oder diejenigen mit vorbestehenden Erkrankungen.
Feuchtkugel-Temperaturen von 35°C und mehr sind noch nicht allgemein bekannt, aber es gibt einige Hinweise darauf, dass sie in Südwestasien auftreten. Der Klimawandel bietet die Aussicht, dass einige der am dichtesten besiedelten Regionen der Erde diese Schwelle noch vor Ende des Jahrhunderts überschreiten könnten, wobei der Persische Golf, Südasien und das Nordchinesische Tiefland an vorderster Front stehen. In diesen Regionen leben Milliarden Menschen.
Während sich das Klima in Ländern Europas erwärmt, können die Menschen noch vernünftige Vorsichtsmaßnahmen gegen die Hitze treffen: langsamer machen, mehr Wasser trinken und nach kühlen Zufluchtsorten suchen. Der Einsatz von Klimaanlagen ist eine der letzten Verteidigungslinien, bringt jedoch auch viele Probleme mit sich, beispielsweise einen sehr hohen Energiebedarf. Es wird erwartet, dass bis zum Jahr 2050 Klimaanlagen den Strombedarf um einen Wert erhöhen, der der derzeitigen Kapazität der USA, der EU und Japans zusammen entspricht.
Vorausgesetzt, dass die Stromversorgung aufrechterhalten werden kann, kann es in Zukunft noch möglich sein, in chronisch Hitze-belasteten Klimazonen zu überleben. Aber mit einer so großen Abhängigkeit von lebenserhaltenden Systemen könnte ein anhaltender Stromausfall katastrophal sein.
Eine tödliche Kombination
Was würde also passieren, wenn wir massive Stromausfälle mit extremer Hitze kombinieren würden? Die erwähnte Studie “An emerging tropical cyclone–deadly heat compound hazard” [1] über Stürme und Hitze, die in der Fachzeitschrift “Nature Climate Change” veröffentlicht wurde, untersucht die Möglichkeit eines solchen vorhersehbaren, aber noch nicht vollständig erlebten "Grauen Schwans" (in Anlehnung an die “black swan theory” [3]).
Die Studie untersucht tropische Wirbelstürme, die bereits die größten Stromausfälle auf der Erde verursacht haben, wobei der monatelange Stromausfall in Puerto Rico nach dem Hurrikan Maria zu den Schwersten zählt. Es wurde festgestellt, dass es mit zunehmender Erwärmung des Klimas immer wahrscheinlicher wird, dass auf diese starken Wirbelstürme gefährliche Hitze folgt und dass mit solchen Gefährdungen jedes Jahr gerechnet wird, spätestens wenn die globale Erwärmung 4°C erreicht hat. Die Notfallreaktion auf einen tropischen Wirbelsturm muss die Kühlung der Menschen ebenso sicherstellen wie die Bereitstellung von sauberem Trinkwasser.
Europa jedoch betritt Neuland, wenn es um den Umgang mit extremer Hitze geht. An Orten, die bereits Hitze-beansprucht sind, steigt die absolute Feucht-Hitze mit der geringsten Sicherheitsmarge (bevor die physikalischen Grenzen erreicht werden) tatsächlich am stärksten an. Diese Orte sind häufig am wenigsten darauf vorbereitet, um sich an die Gefahr anzupassen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass extreme Hitze die Migration antreibt. Das macht extreme Hitze zu einem weltweiten Problem. Europa wird die Konsequenz von Bedingungen weit weg von seinen gemäßigten Zonen deutlich spüren.
Die Herausforderungen sind riesig. Anpassung hat ihre Grenzen. Wir müssen deshalb unsere Anstrengungen bezüglich des Stopps der globalen Erwärmung verstärken. Es muss eine globale Reaktion erfolgen, indem wir die Treibhausgas-Emissionen senken, um wenigstens die Grenzen des internationalen Klimavertrags von Paris einzuhalten. Auf diese Weise haben wir die größte Chance, tödliche Hitze auf unserer Welt abzuwenden.
[1] T. Matthews, R. L. Wilby & C. Murphy: An emerging tropical cyclone–deadly heat compound hazard
[2] Feuchtkugel-Temperatur (oder auch einfach nur Feucht-Temperatur): die niedrigste Temperatur, die durch Verdunsten von Wasser in die Luft erreicht werden kann
[3] Black swan theory