Die Wahrheit über das Brexit-Referendum
Ich möchte ein paar Dinge dazu sagen, wie Referenden in Großbritannien funktionieren - oder eben nicht funktionieren. Außerdem Aspekte des Brexit-Referendums, bei denen die Leute immer wieder falsch liegen.
Was ist ein Referendum? Es ist eine Frage, oder möglicherweise eine Reihe von Fragen, die an die Wähler gerichtet werden, um das Parlament über das allgemeine Gefühl im Lande zu einem bestimmten Thema zu informieren. In Großbritannien ist es nichts weiter. Tatsächlich wurde in Großbritannien traditionell kein wirklicher Gedanke an Referenden verschwendet, so dass, als David Cameron Premierminister wurde und es so aussah, als würde er Referenden abhalten, ein ausgewähltes Komitee von Lords eine Debatte abhielt und auf einige Punkte hinwies. Die wichtigste Schlussfolgerung, die sie gezogen haben, war, dass Referenden im Vereinigten Königreich nicht konsequent durchgeführt werden, sondern eher als taktisches Instrument als in Fragen des Verfassungsprinzips eingesetzt werden.
Dies gilt sicherlich auch für das Brexit-Referendum. Es gab keinen guten Grund dafür. In den Meinungsumfragen des Parlaments im Land zeigte sich, dass damals keine Mehrheit die EU verlassen wollte. Es wurde nur als ein Mittel verfolgt, um zu verhindern, dass die Tories ein paar Sitze in Westminster verlieren. Und weil David Cameron nicht stark genug war, sich den Hardlinern in seiner eigenen Partei zu widersetzen, so wie es frühere konservative Premierminister getan hatten.
Stellen wird dem die Schweiz gegenüber, wo Referenden gängige Praxis, etabliert und verbindlich sind. In der Schweiz gibt es ungefähr vier Referenden pro Jahr, und die Schweizer können jedes Mal über mehrere Vorschläge abstimmen. Ein wichtiges Merkmal eines schweizerischen Referendums ist, dass den Wählern die richtigen Fakten gegeben werden müssen, um ihre Entscheidung treffen zu können. Es könnte fast als eine Form von göttlicher Einmischung angesehen werden, um zu zeigen, wie schlecht das Vereinigte Königreich Referenden organisiert.
Die Schweizer haben das Ergebnis eines Referendums zum ersten Mal in ihrer Geschichte Anfang dieses Jahres verworfen. Das Referendum selbst fand bereits 2016 statt, der Oberste Gerichtshof stellte jedoch fest, dass den Wählern nicht alle Fakten bekannt waren. Das hat die Wahlfreiheit verletzt. Die Wähler erhielten falsche Informationen und müssen nun das Referendum mit den richtigen Informationen wiederholen.
Die Seite, die das ursprüngliche Referendum gewonnen hat, jammert natürlich darüber, aber niemand hat gesagt, die Schweizer hätten nicht die gleichen menschlichen Instinkte wie die Briten. Aber sie haben einfach ein besseres System, um damit umzugehen.
David Cameron veranlasste das Referendum aus parteipolitischen Gründen. Das Referendums-Gesetz musste vom Parlament verabschiedet werden. Und hier kommen wir zu einem weiteren missverstandenen Merkmal. Die Menschen in Großbritannien scheinen zu glauben, dass das Ergebnis des Referendums eine bindende Anweisung an das Parlament war. Das war’s nicht. Die Leute glauben das, weil David Cameron es ihnen so gesagt hat. Ja, aber er hat gelogen.
Das Parlament trifft Entscheidungen. Obwohl bei Verfassungsänderungen vermutlich ein Referendum stattfinden sollte, das die Autorität des Parlaments, das die souveräne Macht in Großbritannien ist, nicht umgeht.
Das Gesetz legte Regeln fest, nach denen das Referendum abzuhalten war. Zum Beispiel: was sind akzeptable Spenden an die verschiedenen Kampagnen-Gruppen? Genau diese Regeln wurden mehrfach verletzt. Vor allem die beiden größten Pro-Brexit-Gruppen wurden mit vielen Millionen Pfund illegal finanziert. Da wurden massenhaft Regeln missachtet. Was aber das Gesetz auf seinen 67 Seiten nirgendwo getan hat, war, die Ergebnisse verbindlich zu machen.
Ein Bericht von 2010, den ein Komitee ausgewählter Lords vorlegte, macht deutlich, warum. In diesem Bericht heißt es, dass “Referenden in Großbritannien aufgrund der Souveränität des Parlaments nicht rechtsverbindlich sein können”. Deshalb sind sie lediglich beratend. Es wäre jedoch schwierig für das Parlament, einen entscheidenden Ausdruck der öffentlichen Meinung zu ignorieren. Rechtlich ist es keine Anweisung an das Parlament. Es macht keinen Unterschied, was ein Politiker für seine eigenen politischen Zwecke dazu sagt. Das ist die rechtliche Tatsache. In dem Bericht wurde auch die politische Schwierigkeit vermerkt, ein so entscheidendes Ergebnis zu ignorieren. Wenn sie bei einem Referendum das Ergebnis ignorieren, macht das die Leute vermutlich wütend. Das macht es aber noch nicht rechtsverbindlich.
Was ist überhaupt ein entscheidender Ausdruck der öffentlichen Meinung? Vielleicht 52% der Personen, die gewählt haben? Bevor das Ergebnis bekannt gegeben wurde, sagten sogar Brexit-Befürworter wie Jacob Rees-Mogg und Nigel Farage, dass ein solch knappes Ergebnis nicht entscheidend sei. Vielleicht 37% der tatsächlichen Wähler? Das ist sicherlich kein entscheidender Ausdruck der öffentlichen Meinung. 26% der Menschen im Vereinigten Königreich stimmten für den Brexit. Und das wird nur schlimmer, wenn wir uns der Frage widmen, wofür die Leute eigentlich gestimmt haben.
Vor dem Referendum haben sich beide Seiten dafür eingesetzt, im europäischen Binnenmarkt zu bleiben. Die Brexit-Gegner wollten im Binnenmarkt und in der gesamten EU bleiben. Die Brexit-Befürworter wollten im Binnenmarktes bleiben, aber aus der EU austreten. Bei jeder Brexit-Kampagne hieß es: "Wir werden im Binnenmarkt bleiben". Das war nicht verhandelbar. Es gab nicht einmal Überlegungen, dass das Verbleiben im europäischen Binnenmarkt nicht der Fall wäre.
Springen wir 3 Jahre weiter: dieselben Leute, die darauf bestehen, dass sie wissen, wofür sie gestimmt haben, sagen jetzt, dass sie dafür gestimmt haben, den Binnenmarkt zu verlassen. Nun, nicht nur, dass dies weder explizit noch implizit in der Frage vorkam, sondern auch, dass sich niemand - und ich meine wirklich niemand - dafür einsetzte, bevor das Ergebnis bekannt gegeben wurde.
Die Wählerschaft wurde belogen, um sie davon zu überzeugen, für den Brexit zu stimmen. Schon deshalb hätte ein Schweizer Gericht das Ergebnis sofort verworfen. Warum aber nicht die britischen Gerichte? Das liegt daran, dass Referenden in der Schweiz verbindlich sind, aber nicht in Großbritannien. Gerade diese Frage der Souveränität erlaubt es den Brexit-Befürwortern zu behaupten, es sei ein bindendes Referendum gewesen, und gleichzeitig diesen illegal gewonnenen Preis zu behalten. Wäre die Abstimmung nämlich rechtsverbindlich gewesen, dann hätten die Gerichte sie verworfen und eine Wiederholung erzwungen. Als die Angelegenheit vor die britischen Gerichte gebracht wurde, wurde das Votum tatsächlich für illegal erklärt. Da es sich jedoch nur um eine Empfehlung handelte, konnte das Gericht den Tätern lediglich Geldbußen auferlegen, das Ergebnis aber nicht annullieren.
Aber weil es beim Brexit immer um Parteipolitik ging, hat das Parlament die Ergebnisse nicht verworfen, sondern trotz aller Vorbehalte anerkannt. Es ist dem Verhalten der Demokraten in den USA ähnlich, die Donald Trump nicht anklagen: es ist alles Parteipolitik. Nun, im Falle des Parlaments war es eine ziemlich halbherzige, kompromisslose Art und Weise, wie sie mitgemacht haben. Das hat zu diesem Chaos geführt, das wir in Großbritannien jetzt haben.
Es gibt jetzt eine Situation, in der ungefähr 90 Abgeordnete, die unbedingt wollen, dass sich Großbritannien vollständig von der EU löst, die 550 Abgeordneten, die dies vermeiden wollen, irgendwie kontrollieren können. Dies liegt daran, dass sie - bildlich gesprochen - eine entsicherte Granate halten und damit drohen, sie in ihrer Mitte zu zünden. Die Tatsache, dass auch sie unter der Explosion leiden würden, scheint nicht von Bedeutung. Denken sie an Prinzessin Leia in Jabbas Palast, mit Boris Johnson als Prinzessin Leia. Ich glaube zwar nicht, dass ihn jemand dazu bewegen kann einen Bikini zu tragen, aber: netter Gedanke.
Das Brexit-Referendum wurde also nur wegen der Parteipolitik ins Leben gerufen. Weder eine Mehrheit des Parlaments wollte es, noch eine Mehrheit des Landes. Das Referendum war nicht rechtsverbindlich, wie jeder klarstellen kann, der jemals ein bisschen tiefer gegraben hat. Es wurden illegal Mittel von mehreren Gruppen verwendet, einschließlich der zwei größten Gruppen der Brexit-Befürworter. Und es hat das britische politische System beschädigt. Es gibt eine massive Kluft zwischen der wirklichen Rechts- und Verfassungs-Position, die die Politik nicht ignorieren kann, und dem, was die breite Öffentlichkeit fälschlicherweise für diese Position hält. Aber auch das kann die Politik nicht ignorieren.
Und weil das Parlament und die Regierung nicht der Meinung sind, dass es in ihrem Interesse liegt, dafür zu sorgen, dass die Öffentlichkeit die Realität der Situation versteht, verbleiben sie in dieser Sackgasse, und alle hoffen, dass jemand Neues daherkommt und das Chaos für sie beseitigt.
Based on What the Brexit Referendum Really Was by Phil Moorhouse.